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Marianne Hielscher:

Meine Schulzeit in Kocherstetten (1950-1958)

Ich kam im Frühjahr 1950 in die Schule.

 

Der erste Schultag war ganz unspektakulär. Den neuen (oder war es ein alter?) Schulranzen auf den Rücken genommen, ein Foto gemacht und ab ging es in die Schule.

Keine Schultüte, keine Süßigkeiten, kein Fest.

 

Mein Schulweg war nicht lang, aber in den ersten Jahren meiner Schulzeit gefährlich.

Wenn ich am Morgen aus dem Haus ging, galt mein erster Blick dem Hof meiner Nachbarn gegenüber, auf der anderen Seite des Erlesbaches.

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Dort hielten sich nämlich 3 Gänse auf, die sofort angriffslustig die Hälse lang machten und mit lautem Geschnatter auf jeden losgingen, der in ihre Nähe kam. Mehrmals bin ich ihnen nur knapp entkommen.

 

In den ersten Jahren meiner Schulzeit hatten wir häufig wechselnde Lehrer. Das führte dazu,

dass wir irgendwann in Mathe einige Lücken hatten. Herr Burgbacher beschloss, das in die Hand zu nehmen. Er war ein wahrer Rechenkünstler und rechnete mit uns, dass unsere kleinen Köpfe rauchten.

 

Wir haben am Anfang noch auf Schiefertafeln mit einem Griffel geschrieben, ich kann mich noch gut an die Schwämmchen und kleinen Lappen erinnern, die am Schulranzen baumelten.

2 Mal im Jahr kam der Schuldoktor, der uns untersuchte und dann festlegte, wer Lebertran nehmen musste. Die erste Portion wurde uns gleich in der Schule verabreicht.

 

In der dritten Klasse wurde Herr Braun unser Klassenlehrer. Vieles wurde anders. Mit einem Lied begann und endete zumeist der Unterricht. Neue Schulfächer kamen dazu, z.B. Musik und Sport, später auch Erdkunde und Gemeinschaftskunde.

 

Wir durften Flöte spielen lernen und Theater spielen. Auch an die Lerngänge erinnere ich mich gerne. Im Sommer haben wir Pflanzen bestimmt und im Winter Tierspuren im Schnee gesucht.

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Die Lernfächer kamen aber nicht zu kurz. Und auch bei uns stand der Tatzenstock in der Ecke. Wer zum Beispiel in einem Diktat mehr als 10 Fehler hatte, bekam eine Tatze und bei denen, die zum dritten Mal die Hausaufgaben vergessen hatten, wurde der Stock auf dem Hinterteil angewandt. Da hat auch die Lederhose nicht viel geholfen.

 

Sportunterricht hatten wir auf der Wiese am „Alten Kocher“. Unter einem Baum am Kocherufer war die Weitsprunggrube. Daneben haben wir 50m-Lauf oder Schleuderball und Schlagball geübt. Zum Abschluss durften wir Brennball oder Völkerball spielen. Weil immer 2-3 Klassen zusammen waren, wurden diese Spiele zu ehrgeizigen Wettkämpfen.

 

Im Sommer fand der Sportunterricht im Kocher statt. Wir haben Ausdauerschwimmen geübt. Wer 15 Min. ohne Unterbrechung schwimmen konnte, hat den Freischwimmerschein vom DLRG bekommen.

 

Handarbeitsunterricht hatten die Mädchen bei Fräulein Kirchdörfer. Bei ihr haben wir Häkeln und Stricken gelernt.

 

Ich bin immer gerne zur Schule gegangen.

 

In unserer Freizeit waren wir weiterhin sportlich unterwegs. Das Bachgeländer hat uns als Reckstange gedient. Da haben wir das Knie über die Stange geschwungen und geschaukelt, Auf- und Umschwünge gemacht und uns gegenseitig übertroffen.

 

Stundenlang Verstecken, Schnitzeljagd oder Räuber und Gendarm im ganzen Dorf gespielt und in der Scheune von Münch auf die oberen Balken geklettert und runter ins Heu gesprungen.

 

Im Sommer liefen wir oft barfuß im Bach und haben Krebse unter den Steinen gesucht. Wenn es das Wetter zuließ, waren wir am Kocher, spielten am Wehr, oder brachten uns das Schwimmen bei.

 

Im Winter war Schlittenfahren angesagt. Besonders gut gelaufen ist es die Schlossbergsteige runter. Manchmal, wenn es kalt und der Kocher noch nicht zugefroren war, haben wir Wasser aus dem Dorfbrunnen an den Straßenrand geschüttet und eine Eisbahn gemacht, Anlauf genommen und um die Wette über die Eisbahn gerutscht. Da haben die Schuhsohlen sehr gelitten.

 

Gespielt haben wir zum Beispiel gerne mit einem Holzkreisel, der mit einer Schnur, die an einem Stock befestigt war, angetrieben wurde. Welcher Kreisel kreiselt am längsten?

 

Die Mädchen hatten dann noch spezielle Spiele, z.B. Himmel und Hölle, oder Kaiser, wieviel Schritte schenkst du mir?

 

Einige Spielanleitungen finden sich am Ende meines Berichts.

 

Die Vielfalt an Spielzeug hielt sich in meiner Kindheit sehr in Grenzen. Ich hatte 2 Puppen und einen Puppenwagen.

 

In jedem Jahr wurde zu Weihnachten die Puppenstube vom Dachboden geholt und 2 hübsche Puppen saßen am Weihnachtsabend im Puppenwagen. Man sah es kaum, dass es die alten Puppen waren, so schön waren sie eingekleidet. Damit habe ich, manchmal auch mit einer Freundin über die ganze Weihnachtszeit gespielt, bis dann die Puppenstube wieder auf dem Dachboden verschwand.

 

Zu Ostern lag ein neuer Ball oder ein Sprungseil neben einem roten Zuckerhasen im Osternest. Der Zuckerhase war so hart, dass es unmöglich war, ein Stückchen von den Ohren abzubeißen. Zu Pfingsten ging das dann besser.

Süßigkeiten waren rar. Ab und zu gab es einmal ein Brausetütchen für 5 Pfennige. Die Brause haben wir auf die Hand geschüttet und dann abgeschleckt, das war herrlich, da war der ganze Mund voll mit Brause.

 

Das Highlight im Sommer war aber der Eismann. Er kam sonntags mit Motorrad und einer Kühlbox im Seitenwagen und verkaufte unter einem großen Baum bei Kilians Scheune sein Eis, die Kugel für 10 Pfennige. Den durfte man nicht verpassen.

 

Einen zentralen Platz in unserem jungen Leben nahm die Mitarbeit zu Hause ein.

 

Wenn die Schule aus war, wurde die Schulschürze aus- und die „Schaffschürze“ angezogen.

Beim Geschirrspülen, Schuhe putzen und Auskehren konnte man schon in der ersten Klasse mithelfen.

 

Später kamen die Arbeiten auf dem Feld dazu. Im Sommer das Heu umwenden, dann zusammenrechen, wenn es trocken war. Bei der Heu- und Kornernte musste ich mich mit einer Rute vor die Kühe stellen und aufpassen, dass sie nicht wegliefen, wenn sie von Bremsen gestochen wurden.

 

Im Herbst galt es mitzuhelfen bei allem, was aufzusammeln war:  Äpfel, Birnen, Zwetschgen und Kartoffeln. Nach der Schule zu Hause mitzuarbeiten, war für alle Kinder selbstverständlich. Unsere Freizeit war knapp bemessen. Jede Minute wurde ausgenützt, oft am Spätnachmittag, wenn wir vom Feld zurückkamen.

 

Wir sind wenige Jahre nach dem Krieg in die Schule gekommen. Es gab nicht viel zu kaufen und die Eltern hatten auch kein Geld. Keiner von uns hatte mehr als der andere und wir haben uns über alles, was wir bekommen haben gefreut und waren dankbar dafür.

 

Spielsachen haben uns nicht gefehlt, wir hatten genügend Fantasie, unsere Freizeit zu gestalten und miteinander zu spielen.

 

Daran erinnern sich noch alle gerne und wir sind uns einig, es war trotz vieler Entbehrungen eine schöne Kindheit und wir haben nichts vermisst.

Hier sind die versprochenen Spielanleitungen:

 

Pyramide umwerfen

 

Aus Stöcken wurde eine Pyramide gebaut, um die Pyramide einen Kreis gebildet mit Handfassung und uns gegenseitig um- oder über die Pyramide gezogen, bis sie eine von uns umgeworfen hat.

 

Ballspiel -  Zehnerle

Wir haben es als Kinder so gespielt:

10 x Ball mit beiden Händen an die Wand prellen

  9 x Ball mit der rechten Hand an die Wand prellen

  8 x Ball mit der linken Hand an die Wand prellen

  7 x Ball beiden Armen an die Wand prellen (baggern)

  6 x Ball unter dem rechten Knie durch an die Wand werfen

  5 x Ball unter dem linken Knie durch an die Wand werfen

  4 x mit der rechten Faust und Unterarm an die Wand prellen

  3 x mit der linken Faust und Unterarm an die Wand prellen

  2 x mit dem Kopf an die Wand prellen

  1 x nacheinander mit dem Kopf, Brust und Unterarm an die Wand prellen.

 

Springen mit dem Seil, allein und in der Gruppe.

 

Singspiel: Machet auf das Tor.

 

Zwei Kinder bilden mit nach oben ausgestreckten Armen und ineinander verschränkten Fingern ein Tor, durch das die anderen Kinder in einer Schlange hintereinander wandern. Dabei singen sie das Lied,

 

 „Machet auf das Tor, machet auf das Tor, es kommt ein goldner Wagen,

was will er will er denn, was will er will er denn, er will die Schönste haben, in Pooland.“

 

Irgendwann zwischen „Poo“ und „land“ schnappt das Tor zu. Das Kind, das zwischen den Armen der beiden Torbogen – Kinder gefangen ist, hat nun die Möglichkeit, sich zwischen Himmel und Hölle zu entscheiden. Das richtige Schlüsselwort entscheidet über sein Schicksal. Apfel oder Birne, Rose oder Nelke?

 

Die beiden Torkinder hatten bereits besprochen, wer z. B. Apfel = Himmel, und Birne = Hölle darstellt. Das jeweils gefangene Kind entscheidet, hinter welches Tor-Kind es sich stellen will.

Ist dieses Kind der Engel oder der Teufel?

 

Endlich, wenn alle Kinder ihre Wahl getroffen haben, wird ihnen mitgeteilt, wer den Himmel

gewählt hat. Natürlich wollen alle Engel sein und auf den Armen in den Himmel gewiegt werden.

 

   „Wir wiegen den Engel in Abrahams Schoß,

     bim bam, bim bam, wir lassen ihn los.“

 

sprechen die Tor-Kinder, während sie die Engel auf den ausgestreckten Armen hin und herwiegen.

 

Für die enttäuschten Teufel verwandelt sich die Himmelschaukel in einen Schüttelkasten und mit dem Spruch:

 

       „Wir rütteln und schütteln den Teufel zum Tor hinaus,

        und wenn er net nausgeht dann schmeißn mer ihn naus.“

 

werden sie zwischen den beiden Armen der beiden Tor - Kinder hin und her geworfen und schließlich unsanft in die Hölle befördert.

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